Aufruf zum Solidarismus

Kapitel 9 des ersten Buches

Brüder! Ihr habt das natürliche Spiel der solidaristischen Organisation, dieses Gegenseitigkeitsvertrgs zwischen der Gesamtheit und dem einzelnen klar erfasst!

Ihr wisst, dass ihr aufgrund dieser Organisation Betriebe ins Leben rufen könnt, deren Erträgnis Euch voll und ganz als Entlohnung Eurer Arbeit gehört, die euch ermöglichen, von der Geburt bis zum Tode eure materiellen, geistigen und moralischen Bedürfnisse voll zu befriedigen, ein ausreichendes Maß von Lebensannehmlichkeit zu genießen und euch gegen alle natürlichen Ungleichheiten und sozialen Schäden ein für allemal zu schützen

Ihr habt ferner erfaßt, wie diese Betriebe auch die Brüder, welche noch nicht das Glück haben, Mitglieder derselben zu sein, in den Genuß vereinfachter, verbilligter, verbesserter, müheloserer Lebenshaltung setzen und denselben den Unterricht und die Erziehung ihrer Kinder, die Pflege der Kranken, die Mitbenutzung aller sozialen Einrichtungen sichern.

Ihr habt ferner begriffen, daß der Solidarismus euch befreit, euer Leben erweitert, verschönt und lebenswert macht.

Ihr habt auch eingesehen, daß nichts im Solidarismus Doktrin, Theorie, Willkür oder Selbsttäuschung ist; alles ist Wirklichkeit, gründet sich auf Benutzung bestehender Verhältnisse, im Rahmen bestehender Gesetze, in friedlicher Entwicklung bei vollkommener individueller Freiheit. Alles beruht auf dem natürlichen Spiel der solidaristischen Kräfte. Vergebens sucht ihr nach unausführlichen, unmöglichen Dingen, es sind deren keine vorhanden; streng folgerichtig entwickelt und berechnet sich alles ziffernmäßig aus dem Leben, aus den Tatsachen; alles steht praktisch erreichbar deutlich vor euren Augen!

Ihr habt auch erfaßt, was Euch in den Stand setzt, euer herrliches Ziel zu erreichen; es ist euer täglicher Brüderpfennig, das kleine unmerkliche Opfer des einzelnen, welches sich duch die Wirkung eurer Zahl und durch die Wirkung der Zeit von Generation zu Generation millionenfach vermehrt und euch, als Gesamtheit, eine unermeßliche materielle und moralische Macht verleiht!

Ihr seid entschlossen, diese durch eure Einigkeit erzielte unermeßliche Macht der Gemeinschaft zu benutzen zum Wohle der Gesamtheit nicht für Werke des Kampfes und der Zerstörung, sondern für das große Werk des Friedens und des Aufbaues, der wirtschaftlichen Erlösung, des Solidarismus!

Was ihr als Gesamtheit wollt, das wird! Vereint seid ihr unüberwindlich; das Geheimnis eurer wirtschaftlichen Erlösung ist eure Solidarität.

Solidarität ist das Gesetz, welches mit Kraft und Klarheit sich abhebt auf dem dunkel verworrenen Hintergrund unserer Kultur; in welchem sich das Ringen unserer Zeit nach Erlösung verdichtet, mit elementarer Gewalthervorquellend aus der Wirrnis, die uns umgibt. Mit unfehlbarer Notwendigkeit führt es zum triumphierenden Sieg der Aufklärung, zur Befreiung, zu großem, freiem wahrem Menschentum, zu einer neuen Form der Kultur, welche die Mittel der Menschheit gewaltig steigert!

Die Menschen sind unbefriedigt, sie fühlen, daß unsere Kultur gezwungen, unnatürlich ist, daß sie dem Leben keinen Gehalt, dem Tun keine Bedeutung gibt; eine ungeheure Sehnsucht nach Besserem und Höherem erfüllt die Menschheit, alles sehnt sich nach Gerechtigkeit und Liebe. Eure Gelehrten, eure Schriftsteller, eure Geschichtsschreiber, eure Kulturforscher, alle rufen: Es kann nicht mehr so weitergehen, die Welt ist reif für bessere Zeiten! Hört ihr denn nicht, Brüder, Schwestern, wie die Welt überall erkling vom Rufen Eurer Propheten: Seid einig, seid solidarisch.

Vorwärts denn, Männer, Frauen, Jugend, im Namen der Gerechtigkeit und Liebe, im Namen des Solidarismus; vereint entschlossen eure Kräfte, schließt die Reihen, organisiert euch, sucht eure Führer, bildet eure friedlichen Legionen von Brüdern! Kommt! Opfert eure täglichen Brüderpfennige auf dem Altar der Gesamtheit, bildet eure Volkskasse; ihr selbst sei eure Erlöser, glaubt an euch selbst und helft euch selbst! Macht den Solidarismus zur führenden Macht des Geisteslebens; je schneller ihr es tut, je kräftiger ihr einsetzt, je beharrlicher, je unbeugsamer ihr euren Willen durch führt, desto rascher winkt die Erlösung; in eurer Hand liegt euer Geschick.

Volk, du hast die Kraft, Volk, du hast die Macht! Erwache! Rüttle dich auf, ans Werk! Moralische Kräfte bestimmen deine Geschicke. Nicht länger sei gleichgültig gegen dein eigenes Schicksal, glaube an dich, an die Macht deines Willens! Erfülle dich mit diesem großen Ideal des Wirkens für die Gesamtheit; frohlockend und unverwandt verfolge das gesteckte Ziel: deine wirtschaftliche Erlösung. Wenn auch dessen Erreichung Märtyrer erfordert, dein ist der Sieg!